Aus welchen Gründen entscheiden sich Schweizer für Teilzeitarbeit?
Veröffentlicht am 20.07.2023 von Marcel Penn, Marketing- und Verkaufsleiter Classifieds - Bildquelle: Getty Images
Der Anteil der Beschäftigten, die in Teilzeit arbeiten, ist seit etwa einem Jahrzehnt konstant. Er liegt bei etwa 35 Prozent. Der Frauenanteil ist deutlich grösser, etwa 16 Prozent der Männer arbeiten verkürzt. Die Gründe für die Annahme einer Teilzeitstelle oder die bewusste Reduzierung der Arbeitszeit liegen nicht in der Inanspruchnahme von Vorteilen in der Sozialversicherung. Sie sind eher persönlicher Natur.
Teilzeitbeschäftigung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Das Zusammenleben in der Familie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Frauen
bleiben nach der Geburt von Kindern nicht mehr mehrere Jahre zu Hause. Sie gehen arbeiten. Wenn beide Eltern in Vollzeit tätig sind, wirkt sich dies positiv auf das Familieneinkommen aus. Mitunter ist dies aber nicht mehr der wichtigste Punkt. In vielen Familien hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gemeinsame Zeit wichtiger ist als ein gut gefülltes Konto.
Es gibt Eltern, die sich bewusst für eine Teilzeitstelle entscheiden. Beide gehen verkürzt arbeiten und haben viel Zeit füreinander und für ihre Kinder. Die Aufgaben im Haushalt und in der Familie lassen sich viel besser koordinieren, wenn die Eltern nicht mehr als acht Stunden am Tag einer Beschäftigung nachgehen.
Die Gestaltung der Freizeit ist wieder wichtiger geworden
Die Freizeitgestaltung kommt bei einem Vollzeitjob häufig zu kurz. Zudem sind die Anforderungen in der Arbeitswelt grösser als noch vor zehn oder 20 Jahren. Mobilität wird gefordert, Multitasking
und schnelles Arbeiten. Die schnelllebige Zeit, in der wir leben, ist mittlerweile in der Arbeitswelt angekommen. Die Folgen sind Stress und kaum freie Zeit. Hinzu kommt der Arbeitsweg: Viele Schweizer pendeln zu Arbeit und wenden dafür durchschnittlich eine Stunde am Tag auf.
Die Aufgaben innerhalb der Familie müssen ebenfalls bewältigt werden. Und es gibt ältere
Familienmitglieder, die Unterstützung oder Betreuung benötigen. Mit einer verkürzten Arbeitszeit
lässt sich mehr Lebensqualität gewinnen. Dies sind die vorrangigen Gründe, die Arbeitnehmer auf die Frage, warum sie sich für eine Teilzeitbeschäftigung entschieden haben, angeben.
Einsparungen bei der Sozialversicherung haben nur eine geringe Relevanz
Kritiker der Teilzeitbeschäftigung formulieren gern den Vorwurf, dass diese Beschäftigung nur
gewählt wird, um Kosten bei der Sozialversicherung zu sparen. Diese bemessen sich für obligatorische Versicherungen wie die AHV und die IV an dem Verdienst. Sinkt der Verdienst, sinken auch die Versicherungsbeiträge.
In der Krankenversicherung gibt es für Einkommensschwache eine Prämienverbilligung. Es ist nicht definiert, ob ein Arbeitnehmer Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. Massgeblich ist allein das Einkommen. Wenn dies durch die Teilzeitbeschäftigung unter die Grenze rutscht, kann eine Prämienverbilligung gewährt werden.
Anspruch auf sozialen Wohnungsbau
Wer in Teilzeit arbeitet, kann unter Umständen in den Genuss einer günstigen Wohnung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus kommen. Auch dies bemängeln die Kritiker und unterstellen den Teilzeitbeschäftigten, sich nur aus diesem Grund für die Reduzierung der Arbeitszeit entschieden zu haben. Dass dies nicht stimmt, bestätigen die Umfragen: Familienzeit und eine ausgeglichene Work-Life-Balance beeinflussen die Entscheidung.
Dennoch reissen die Kritiken nicht ab. Mittlerweile beschäftigen sie auch die Politik: Es gibt einen Vorstoss, die Prämienbewilligung für Teilzeitbeschäftigte ohne Familie abzuschaffen. Dies ist bislang nur eine Meinung, eine öffentliche Debatte gibt es noch nicht. Doch es zeigt, dass die Problematik ganz oben angekommen ist und die Gemüter beschäftigt. Somit bleibt abzuwarten, ob die derzeitigen Regelungen auch in Zukunft Bestand haben werden.